Wer Diabetes hat, muss sehr auf seinen Blutzuckerspiegel achten, damit dieser nicht zu sehr in die Höhe schießt. Diabetes ist aber keine „Zuckerallergie“, bei der komplett auf Zucker verzichtet werden muss. Denn „so wie ein Auto ohne Benzin nicht fährt, so können wir Menschen ohne den wichtigen Energielieferanten Zucker nicht leben“, erklärt Chefarzt Dr. med. Jürgen Raabe, Facharzt für Innere Medizin und Diabetologie. Zucker in seinen vielfältigen Erscheinungsformen – ob in Früchten, in Torten und Gebäck, in Schokolade oder als Bestandteil vieler anderer Lebensmittel – ist nicht nur ein wichtiger Energielieferant für uns, sondern auch ein leckeres Süßungsmittel. Es gibt unterschiedliche Arten von Zucker, alle mit ihren eigenen Vor- und Nachteilen. Welche Art ist nun aber die beste für uns? Gibt es einen „guten Zucker“ im Gegensatz zu „schlechten Zuckern“? Und wieviel des süßen Stoffs ist noch gesund? Denn leider birgt dieser neben Karies auch andere Gefahren.
Die Funktion von Zucker in unserem Körper
Unser Körper benötigt den Zuckerbestandteil Glukose, um funktionieren zu können. „Unser Gehirn kann ohne Zucker schwerwiegende Schäden davontragen“, so Raabe. Glukose, auch Traubenzucker genannt, gelangt durch die Wand des Dünndarms in den Blutkreislauf. So kann sie sich im gesamten Körper verteilen und in allen Muskeln und Organen zu Energie umgewandelt oder in speziellen Zellen für später gespeichert werden. Dies ist allerdings nur möglich, wenn die Bauchspeicheldrüse genug Insulin bildet, welches das Eindringen des Zuckers in die Körperzellen erleichtert.
Der Zusammenhang zwischen Zucker und Diabetes
Wenn die Zellen nicht mehr so gut auf das Hormon Insulin reagieren, bleibt der Zucker im Blutkreislauf und der Blutzuckerwert steigt an. Für eine Weile kann der Körper das mit einer höheren Menge produzierten Insulins ausgleichen, was der Mediziner als Prädiabetes bezeichnet – eine Vorstufe des Typ-2-Diabetes. Doch „ein beständig hoher Blutzuckerspiegel erhöht die Gefahr von Durchblutungsstörungen, Arterienverkalkungen an Herz, Kopf und Beinen, sowie von Augen-, Nieren- und Nervenkrankheiten“, erklärt Raabe. Die größten Risikofaktoren für den Typ-2-Diabetes sind eine genetische Veranlagung, Übergewicht und Bewegungsmangel.
Das unterscheidet ihn von dem Typ-1-Diabetes. Dieser ist eine Autoimmunkrankheit, bei der das eigene Immunsystem die für die Insulinproduktionverantwortlichen Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört. Die Betroffenen müssen meist ein Leben lang Insulin spritzen, um den erhöhten Blutzuckerwert zu behandeln.
Die Diagnose Diabetes wird zwar definitiv einen Lebenswandel für die betroffenen Personen hervorrufen – Typ-1-Diabetiker müssen sich nun Insulin spritzen und Typ-2-Diabetiker sollten sich mehr bewegen und ihre Ernährung umstellen – dies sollte aber als Chance gesehen werden. Mit einer entsprechenden Änderung des Lebensstils können die Symptome deutlich gelindert werden.
Die Vorteile bewusster Ernährung bei Diabetes
Ein Typ-1-Diabetiker kann seine Krankheit zwar nicht mit einer gesunden Ernährung bessern, doch ist es wichtig zu wissen, wie viele Kohlenhydrate im Essen stecken, um die richtige Menge an Insulin zu spritzen und somit zu hohe Werte oder Unterzuckerungen vermeiden zu können. Letztere sind nicht völlig ungefährlich. Denn wenn der Blutzucker stark abnimmt, wird Adrenalin freigesetzt, welches gespeicherten Zucker freisetzt. „Der Mensch merkt dann aber nicht den Abfall des Zuckers, sondern ein Hungergefühl und den Effekt des Adrenalins. Ein typischer Adrenalineffekt ist das Herzrasen, was bei einem herzkranken Menschen eine Herzrhythmusstörung auslösen kann“, sagt Raabe.Bei einem Typ-2-Diabetiker kann die richtige Ernährung, insbesondere in Kombination mit ausreichend Bewegung, entscheidend dazu beitragen, langfristig die der Krankheit zugrundeliegende Insulinresistenz zu bessern. „Das muss gar kein Leistungssport sein, es ist schon gut, nach dem Essen spazieren zu gehen“, spezifiziert Raabe. Mit einer bewussten Ernährung können Blutzuckerspitzen nach dem Essen vermieden und der Blutzuckerspiegel anhaltend gesenkt werden.
Doch heißt das, komplett auf Zucker zu verzichten oder die Kohlenhydrate als Energiespender nur noch aus Vollkornprodukten zu beziehen? – NEIN! Diabetiker können und sollen sich an dieselben Ernährungsempfehlungen halten wie gesunde Menschen. Das bedeutet auch, dass Zucker kein Tabu ist. Dennoch ist es wichtig, aus welchen Lebensmitteln die Kohlenhydrate bezogen werden.
Welche Lieferanten sind am besten?
Energiespender wie Brot und Nudeln aus Vollkorn oder Kartoffeln sind weitaus gesünder und ergiebiger. Ihre komplexen Kohlenhydrate werden im Darm in ihre einzelnen Zuckerbausteine zerlegt, gelangen nur langsam ins Blut, sodass der Blutzuckerwert nicht zu schnell ansteigt, und sättigen lange. Auch Vitamine, Mineral- und Ballaststoffe finden sich meist in diesen Produkten. Im Gegensatz dazu wird der weiße Haushaltszucker im Dünndarm sehr schnell in die beiden Bestandteile Glukose und Fruktose zerlegt und in die Blutlaufbahn abgegeben. So steigt der Blutzuckerwert zwar schnell an, sinkt aber in ebenso hohem Tempo. Der Hunger setzt dann bald wieder ein. Des Weiteren liefert Haushaltszucker neben der Energie keine Vitamine oder Mineralien. Es handelt sich hierbei um sogenannte „leere Kalorien“. Chefarzt Dr. Raabe empfiehlt, „leere Kalorien ersatzlos wegzulassen.“ Erhöhter Zuckerkonsum begünstigt deutliches Übergewicht, Karies, Bluthochdruck und Fettleber. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, nicht mehr als 50 Gramm pro Tag zu sich zu nehmen. Eine weitere Reduktion auf 25 Gramm (ca. 6 Teelöffel) wird als sinnvoll deklariert. Der durchschnittliche Deutsche isst täglich jedoch rund 90 Gramm. Dies liegt vor allem auch an den versteckten Zuckerquellen wie zum Beispiel in Limonaden, Tütensuppen oder Müsliriegeln. Denn nicht alle Lebensmittel führen Zucker in ihren Zutatenlisten auch als ebensolchen auf.
Viele Bezeichnungen für Zucker
Oftmals werden andere Bezeichnungen verwendet, um Kunden mit Versprechungen wie „zuckerfrei“ oder „ungesüßt“ anzulocken. „Da ist die Nahrungsmittelindustrie sehr clever“, bestätigt Raabe. So kann beispielsweise ein Dattelmus „ohne Zuckerzusatz“ trotzdem 60 Prozent fruchteigenen Zucker enthalten. Auch auf Bezeichnungen wie Glukosesirup, Maltodextrin, Magermilchpulver und Glukose-Fruktose-Sirup sollte man aufpassen. Als Hilfestellung dient seit Dezember 2016 allerdings ein neuer Pflichteintrag auf verpackten Lebensmitteln: Sie müssen eine Nährwertkennzeichnung tragen, aus der unter anderem die enthaltene Menge an Kohlenhydraten und Zucker abzulesen ist. Hier gelten alle Zucker im Lebensmittel, gleich, ob sie natürlich oder aus Zusätzen sind. Doch auch hier gilt Vorsicht, da die Hersteller oftmals ihre Angaben auf eine Portion anrechnen. Hier ist aber je nach Hersteller die Portionsangabe unterschiedlich. Mit der Nährwertkennzeichnung entpuppt sich auch so manch ein Früchtemüsli oder Saft als zuckerreich, da viel Fruchtzucker enthalten ist.
Zwei verschiedene Arten Fruktose
Der Fruchtzucker, auch Fruktose genannt, kommt in natürlicher Form in Obst und Gemüse vor. Wenn man die empfohlenen fünf Portionen am Tag zu sich nimmt, ist daran nichts Schädliches. Neben der Fruktose besitzen Obst, Gemüse und Honig nämlich auch Nähr- und Ballaststoffe, die die Aufnahme und Wirkung des Zuckers begrenzen. Die industriell hergestellte Fruktose, die als süßender Bestandteil in Fertigprodukten und Getränken steckt, ist allerdings hochkonzentriert und nicht mit anderen wertvollen Ballaststoffen kombiniert.
Die Gefahr des Fruchtzuckers
Im Gegensatz zur Glukose ist das Insulin bei der Aufnahme der Fruktose nicht notwendig. Der Fruchtzucker wird also insulin unabhängig verstoffwechselt. Unser Körper ist auf Fruktose als Energielieferant nicht angewiesen. Wird mehr Traubenzucker aufgenommen als in Obst und Gemüse steckt, also über die mit ihm gesüßten Lebensmittel, kann der Dünndarm die Fruktose nicht schnell genug ans Blut abgeben. Daher gelangt ein Teil in den Dickdarm. Das kann einerseits zu Verdauungsbeschwerden führen. Doch andererseits macht die Fruktose auch die Darmwand durchlässiger, sodass Substanzen in die Blutbahn geraten, die dort eigentlich nicht hingehören. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit von Allergien und Autoimmunerkrankungen. Die Darmflora verändert sich und gute Bakterien haben nur noch eine geringe Überlebenschance. Das Immunsystem wird geschwächt, was verschiedene Erkrankungen zur Folge haben kann.
Welche Alternativen gibt es?
Wenn also der weiße Haushaltszucker nicht ratsam ist und Fruktose nur in der natürlichen Form gut vom Körper aufgenommen werden kann, welche anderen Möglichkeiten gibt es dann, Speisen zu süßen? Keine Sorge, es sind ausreichend Alternativen vorhanden, wenn auch einige davon die gleichen Probleme bereiten wie Kristall- und Fruchtzucker:
Für Kaffee, zum Backen und Kochen kann beispielsweise Kokosblütenzucker verwendet werden. Dieser wird aus dem Blütennektar der Kokospalme gewonnen und enthält als relativ naturbelassenes Produkt Vitamine und Mineralstoffe. Er hat einen an Karamell erinnernden Geschmack. Kokosblütenzucker hat etwa die gleiche Menge an Kalorien wie Haushaltszucker, jedoch einen niedrigeren glykämischen Index, was den Blutzuckerspiegel nur leicht steigen und langsam sinken lässt.
Honig besteht aus Trauben- und Fruchtzucker sowie Wasser. Er hat einen angenehmen Eigengeschmack und weniger Kalorien als Haushaltszucker. Honig ist ein naturbelassenes Produkt und besitzt auch einige Vitamine und Mineralstoffe. Diese gehen allerdings verloren, wenn Honig über 40°C erhitzt wird, also zum Beispiel im heißen Tee oder beim Backen.
Agavendicksaft aus der mexikanischen Agavenpflanze besteht zum Großteil aus Fruktose. Er hat eine intensivere Süße und weniger Kalorien als Kristallzucker. Der hohe Fruchtzuckergehalt birgt allerdings die schon genannten Gefahren von Verdauungsschwierigkeiten sowie Fettstoffwechselstörungen. Man sollte ihn daher, aber auch wegen der hohen Süßkraft, nur sparsam verwenden.
Reissirup, auch Reishonig, ist nicht ganz so süß wie Haushaltszucker und liefert auch etwas weniger Energie. Reismehl wird mit Wasser zu Sirup verkocht, der auch Mineralstoffe wie Eisen und Kalzium enthält. Reishonig ist sehr fruchtzuckerarm und kann gut als Alternative zu Honig verwendet werden.
Der als Xylit bekannte Birkenzucker wurde ursprünglich aus Birkenholz gewonnen. Inzwischen werden Maiskolbenreste, Stroh oder andere Hölzer für die Herstellung des Zuckeralkohols verwendet. Xylit ist nicht kariesfördernd und hat erheblich weniger Kalorien, was diese Zuckeralternative sehr geeignet macht, um sein Gewicht zu halten. Auch für Diabetiker ist Birkenzucker geeignet. Zu viel Xylit kann aber zu Verdauungsschwierigkeiten führen, daher muss die Dosierungsangabe unbedingt beachtet werden.
Erythrit ist ebenso wie Xylit ein Zuckeralkohol, jedoch absolut kalorienfrei. Erythrit hat nur etwa 70% der Süßkraft von Rübenzucker und eignet sich sehr gut für Diabetiker und kalorienbewusst lebende Menschen. Erythrit kommt ganz natürlich in reifen Früchten, manchen Käsen und Wein vor. Zur Herstellung werden Kohlenhydrate mithilfe von Pilzen fermentiert. Erythrit kann aus Mais oder Traubenzucker hergestellt werden und stellt eine gute Zuckeralternative dar.
Das aus der gleichnamigen südamerikanischen Pflanze hergestellte Stevia ist 300 Mal süßer als Kristallzucker. Allerdings hat es einen leicht bitteren Nachgeschmack, sodass Stevia oft mit anderen Zuckerstoffen gemischt wird. Es ist nicht nur frei von Kalorien, sondern hat auch keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel. So ist Stevia für Menschen mit Gewichtsproblemen oder Diabetes interessant.
Bei uns zugelassene Süßstoffe wie Acesulfam, Aspartam, Cyclamat und Saccharin sind nach heutigem Wissensstand und bei einer normalen Verzehrmenge gesundheitlich unbedenklich. Sie sind fast kalorienfrei und beeinflussen den Blutzuckerspiegel nicht. Des Weiteren haben sie eine weitaus höhere Süßkraft als Haushaltszucker. So sind die Süßstoffe ebenso wie Stevia gut geeignet für Menschen mit Gewichtsproblemen sowie Diabetiker. Wenn man aber insgesamt sparsamer süßen möchte, sind Süßstoffe nicht geeignet. Auch Raabe verrät: „Mir wäre es von Herzen lieber, wenn man sich an einen nicht ganz so süßen Geschmack gewöhnt. Das kann man umtrainieren.“
Individueller Geschmack
Es ist reine Gewöhnungssache, zuckerreiche Lebensmittel beim Einkauf im Regal stehen zu lassen. Wer regelmäßig viel Zucker zu sich nimmt, ist daran gewohnt und findet einen Naturjoghurt mit frischem Obst geschmacklos. Wird aber graduell Zucker eingespart, so werden die Geschmacksnerven trainiert und sie empfinden die Aromen und den Eigengeschmack des Essens wieder intensiver. Man soll nicht komplett auf Zucker enthaltende Lebensmittel verzichten, die Aufnahme von Zucker aber insgesamt zurückschrauben. Diabetiker können mit ihrem Arzt einen Ernährungsplan erstellen, der die persönlichen Vorlieben berücksichtigt. Solange insgesamt die Kalorienbilanz stimmt, kann auch weiterhin die Tafel Schokolade auf dem Einkaufszettel stehen. Dies dient natürlich auch der Motivation, dem Ernährungsplan auf lange Zeit zu folgen.
Raabe betont die Individualität der Patienten:
„Jeder muss für sich selbst eine Balance zwischen seiner Lebensqualität, seinen Genusswünschen und seiner gesundheitlichen Prognose finden. Die ärztlichen Empfehlungen sind als Anregung zu verstehen. Manchen fällt die Umsetzung eben leichter als anderen.“