Ein Leben mit Prothese - „Aufgeben war nie eine Option für mich"

Als wir uns in der Orthopädietechniker-Werkstatt treffen, hält Leichtathletin Candy Kuppert lächelnd einen Kaffeebecher in der rechten Hand, ihre linke Hand liegt locker auf ihrer angewinkelten Prothese, während sie uns von ihren Erfahrungen als Oberschenkelamputierte berichtet.

Unterdessen tüfteln Orthopädietechniker Florian Raeffler und der Fachbereichsleiter für technische Orthopädie Marko Gänsl an Kupperts Sportprothese herum, weil diese damit im Trainingslager gestürzt war. Beim Sprinten hatte es sie buchstäblich aus der Bahn geworfen, als sie in der Kurve nicht mehr abbremsen konnte.

 

Kuppert wurde im Alter von drei Wochen der rechte Oberschenkel entfernt, weil sie nach dem Biss eines Hundes beinah das Leben verloren hätte. Aufgrund des hohen Blutverlustes und um sie am Leben zu erhalten, entschieden sich die behandelnden Ärzte damals für eine Amputation, da es nicht mehr möglich war, das verletzte Bein zu retten.

Als Kleinkind besaß sie noch keine Prothese, sondern bekam erst im Alter von 6 Jahren ihr erstes Hilfsmittel, eine steife Prothese ohne Gelenk. „Ich war froh, als ich ein neues Bein bekam!“, erinnert sie sich, „Das hat aber über die Jahre auch viel mit dem Körper angerichtet. Ich habe heute Gelenkprobleme, weil ich mir im Kindesalter ein falsches Gangbild angewöhnt habe, wodurch es zu Fehlstellungen und erhöhten Abnutzungserscheinungen kam.“

Die heute 22-jährige lebt im Berliner Stadtteil Spandau und trainiert am Olympiastützpunkt Berlin Hohenschönhausen. Sie ist im paralympischen Kader der T42 (Oberschenkelamputatierten) Sprinter und Weitspringer. „Inzwischen haben wir so gut an meinem Laufbild gearbeitet, dass es sich dem physiologischen Gangbild eines Nichtamputierten stark angenähert hat.“

Seit dem Frühjahr 2016 ist sie aktive Läuferin und Weitspringerin beim PSC Berlin und versucht „alles zu geben, um ein guter Leistungssportler zu werden. Ich glaube, dass mein persönlicher Erfolg erst noch kommt. Denn natürlich möchte ich irgendwann mal eine Goldmedaille gewinnen!“ Vor allem vertraue sie mittlerweile auf ihre Prothese und ihr eigenes Können, erläutert sie. Nach einer Amputation müssen Betroffene lernen, die Prothese als neuen Teil ihres Körpers anzunehmen und mit professioneller Unterstützung Unsicherheiten zu überwinden. Denn die moderne Orthopädietechnik hilft dabei, die amputierten Gliedmaßen zu kompensieren. Das erfordert auch für Kuppert ein Training im Umgang mit der in die Sportprothese integrierten Sprungfeder.

Die meisten Amputierten haben nur eine Alltagsprothese mit der sie gehen und ggf. auch Rad fahren können. Sportprothesen sind etwas Besonderes. Kuppert besitzt nicht nur eine Prothese für den Sport, sondern auch eine für den Alltag: „Ich denke, ich kann behaupten in sehr guten Händen zu sein. Wenn ich zurückschaue, wie die Prothesen noch vor zehn Jahren aussahen und welchen technologischen Fortschritt sie bis heute gemacht haben, bin ich einfach nur begeistert. Wenn man mich heute fragen würde, ob ich meine Prothese gegen ein gesundes Bein tauschen würde - ich würde es nicht machen! Die Prothesen sind Teil meines Lebens und gehören zu mir, machen mich aus.“, erklärt Kuppert. Dennoch beschreibt sie auch einige Schwierigkeiten, die sie beim Sport hat. „Wenn ich trainiere, dann gibt es oft schon Probleme beim Start. Immerhin hat man ja kein Knöchelgelenk, welches man zur Beschleunigung nutzen kann. In der Startphase ist man also schon langsamer als jeder nicht paralympische Sportler. Dafür erhält man durch die Carbonfedern über die gerade Strecke eine deutliche Energierückgewinnung und man hat keine Wadenmuskulatur, die ermüden kann. Beim Kurvenlaufen fällt es mir jedoch schwer meine Sportprothese richtig zu lenken, weil ich nur einen Knöchel habe, der die Schräglage ausgleichen kann.“

Sie beschreibt, wie glücklich sie darüber ist, welch hohe Lebensqualität ihr die neue Prothesentechnologie ermöglicht. Marko Gänsl ergänzt Kupperts Worte: „Die Technik hat sich in den vergangenen Jahren sowohl im Laufbild der Patienten als auch in den verwendeten Materialien extrem weiterentwickelt. Früher waren es noch Konstruktionen, die sehr auf Sicherheit bedacht waren, heute findet sich hier eine Mischung aus Dynamik, Innovation, Design, Komfort und Sicherheit.“

Doch wie genau unterscheiden sich Alltagsprothese und Sportprothese? Orthopädietechniker Florian Raeffler erklärt, dass die Alltagsprothese Sicherheitsstandards bietet, die die Sportprothese gar nicht bieten könne. „Hätten wir diese in der Sportprothese verbaut, könnte sie gar nicht so schnell laufen. Zudem wäre es auch nicht erlaubt, denn wir dürfen keine Elektronik in die Sportprothesen integrieren. Das wäre ein Lizenzverstoß, weshalb Candy vom Training und vom Wettkampf ausgeschlossen werden könnte.“

Die Alltagsprothese ist etwa 1,5 Kilogramm schwerer als die Sportprothese, obwohl beide aus denselben Materialien bestehen - Carbon, Titan, Aluminium - sich aber in der Zusammensetzung dieser Komponenten unterscheiden. Kuppert räumt ein, dass sie für die Arbeit ihre Alltagsprothese nutze, weil diese über längere Zeit angenehmer zu tragen sei. „Wenn ich trainiere, nimmt der Muskeltonus zu und dann sitzt die Sportprothese nochmal ein ganzes Stück enger. Auch mit meiner Alltagsprothese kann ohne Probleme joggen und mein Fitnessprogramm abhalten, gleichzeitig jedoch sicher auf unebenem Gelände und Treppen agieren. Nachts schlafe ich ohne Prothese, damit sich der Körper erholen kann.“

Wir sprechen mit Kuppert nicht nur über die starken, sondern auch über ihre schwachen Momente. Darüber, wie es sich anfühlt, wenn man angestarrt wird und spürt, wie andere tuscheln – nicht etwa voller Bewunderung, sondern mit Verachtung. Dies zu akzeptieren, falle ihr zum Teil schwer erklärt sie. „Ich bin offen für Menschen und ihre Fragen. Wenn sie etwas wissen wollen, bekommen sie auch eine ehrliche Antwort, die die Akzeptanz am Ende hoffentlich auch erhöht.“ Sie wünsche sich kein Mitleid, sondern Bestärkung und setzte sich für Gleichberechtigung. „Heute trage ich im Sommer gerne kurze Hosen und trage sie voller Selbstvertrauen auch in der Öffentlichkeit. Früher hatte ich davor Angst und habe mich nicht getraut. Heute lasse ich mich nicht mehr klein machen.“ Und trotzdem werde sie manchmal von diesem unangenehmen Gefühl eingeholt nicht der Norm zu entsprechen. Einer Norm, die in der Gesellschaft zu großen Teilen vorgegeben wird.

Zu ihren Hochs wie sie sagt, zählt sie ihre Freunde und Familie, auf die sie immer bauen könne. Ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens seien auch die Orthopädietechniker von Seeger, die ihr immer mit Fachwissen und Einfühlungsvermögen zur Seite standen. Trotz vieler positiver Aspekte und Menschen in Kupperts Leben, war Mobbing ein sehr prägnantes Thema: „Dieses Gefühl von Einsamkeit und Schwäche hat mich zu dem starken Menschen heranwachsen lassen, der ich heute bin. Aufgeben war nie eine Option für mich.“

Die junge und ehrgeizige Frau ist sehr engagiert und setzt sich auch für andere Betroffene ein. Sie möchte demnächst auch in die Fußstapfen von Florian Raeffler und Marko Gänsl treten und als Orthopädietechnikerin andere bestärken und bestmögliche Hilfsmittel herstellen. Mit dem Sport und ihrem Team hat sie eine starke Grundlage schaffen können, um aufzublühen und hoffnungsvoll neue Etappen anzugehen.„

Die Lebensqualität unserer Patienten mit körperlichen Handicap ist im Sanitätshaus Seeger ein echtes Anliegen. Seit 1938 setzt sich unser Unternehmen dafür ein. Diese langjährige Erfahrung und der sich daraus kontinuierlich entwickelnde Fortschritt fließt in die Entwicklung und Fertigung von modernen Beinprothesen ein“, erklärt Marko Gänsl.

Raeffler ergänzt: „Das Fachliche ist mindestens genau so wichtig, wie das Zwischenmenschliche. Der persönliche Kontakt ist elementar. Gemeinsam arbeitet man sich zum Ziel. Jeder Mensch ist verschieden und hat andere Bedürfnisse und Empfindungen. Es ist in gewisser Weise immer ein Kompromiss. Wir würden natürlich gerne immer nach Lehrbuch bauen, aber man darf dabei den individuellen Menschen nicht vergessen. Und je nachdem, wie man darauf eingeht und sich gemeinsam annähert, entsteht dann auch eine sehr enge Bindung zwischen uns und den Patienten, die das Arbeiten erleichtert. Am Ende muss unser Produkt im Alltag überzeugen.“

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