Im Gespräch mit Wirbelsäulenspezialist Bruno H. Lurtz

Mehr Leben im Gespräch mit Bruno H. Lurtz, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, über die Behandlung von akuten und chronischen Rückenschmerzen.

"Bis zu 80 Prozent der Wirbelsäulenschmerzen können ohne Medikamente behandelt werden."

Mehr Leben:
Sie haben sich auf die Behandlung akuter und chronischer Schmerzzustände der Wirbelsäule spezialisiert. Damit widmen Sie sich einer echten „Volkskrankheit“. Woher kommt Ihre Begeisterung für dieses Fachgebiet?

Bruno H. Lurtz:
Das begann im Jahr 2002 während des Besuches am World Institute of Pain in Budapest. Dort lernte ich die weltführenden Schmerztherapeut/innen und ihre Arbeitsweise kennen. Dabei entstand meine anhaltende Begeisterung für die minimalinvasive Schmerztherapie, insbesondere der Wirbelsäulen-Schmerztherapie. Mein Ziel war schon immer, meinen Patient/innen den Schmerz zu nehmen und möglichst ohne medikamentösen Einsatz zu helfen.

ML: Mit welchen typischen Symptomen kommen Ihre Patient/innen zu Ihnen?

Bruno H. Lurtz:
Das ist sehr unterschiedlich. Viele leiden unter akuten Schmerzen, sehr viele haben auch chronische Schmerzen. Ich behandele auch Patient/innen mit Postnukleotomie-Syndrom, also Menschen, die nach einer Operation am Rücken anhaltende neuropathische Schmerzen entwickeln. Hinzu kommen Patient/innen mit CRPS (auch bekannt als Morbus Sudeck oder komplexes regionales Schmerzsyndrom), chronischen Kopfschmerzen, Nackenschmerzen und unklaren Schmerzen im Becken- und Lendenwirbelsäulenbereich.

ML: Häufen sich in Zeiten von Corona und Homeoffice die Beschwerden Ihrer Patient/innen?

Bruno H. Lurtz:
Sehr auffällig ist, dass auch junge Menschen sich oft nicht genug bewegen, zu wenig Sport treiben, zu viel am Rechner sitzen – das hat infolge von Corona tatsächlich zugenommen. Die Pandemie und auch die Arbeit im Homeoffice führen insgesamt zu einer starken Zunahme von Beschwerden. Nicht zu vernachlässigen sind dabei psychosoziale Aspekte und Ängste.

ML: Gerade anhaltende Rückenbeschwerden werden in Deutschland sehr häufig operativ behandelt. Wann ist eine Operation tatsächlich erforderlich?

Bruno H. Lurtz:
Operative Eingriffe sollten immer das letzte Mittel sein! Gleichzeitig müssen wir uns mit Schmerzen auch nicht einfach abfinden. Operationen sollten nur bei ernsthaften neurologischen Ausfällen getätigt werden.

ML: Welche Behandlungen dieser Art wenden Sie hauptsächlich an und was ist das Besondere daran?

Bruno H. Lurtz:
Die häufigste Behandlungsmethode bei uns erfolgt im CT (Computertomographie) oder unter BV-Kontrolle (Bildverstärker) in Form von PRT‘s oder Facettenblockaden-Therapie. Diese werden von einigen gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Diese minimalinvasive Therapie wird unter örtlicher Betäubung oder falls nötig, zusätzlich mit einer leichten Sedierung durchgeführt. Auch können heute Schmerzschrittmacher implantiert werden, die per Bluetooth steuerbar und MRT-tauglich sind und keine Batterie oder Verlegung von Kabeln benötigen. Dieser Eingriff dauert rund 20 Minuten. Das Besondere an diesen Behandlungsmethoden ist, dass keinerlei Medikamente zum Einsatz kommen, es wird lediglich mit Hochfrequenzstrom gearbeitet. So haben die Patient/innen keine belastenden Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt oder die Leber und sie können in der Regel weiterhin ihrem Beruf nachgehen.

ML: Wie ist der Ablauf einer Hochfrequenzstrom-Therapie mithilfe eines Schmerzschrittmachers?

Bruno H. Lurtz:
Der Schmerzschrittmacher wird im Rahmen der SCS-Therapie zunächst für eine Woche in den Wirbelkanal eingesetzt. Ziel ist eine Schmerzreduktion von über 80 Prozent während der Testphase, nur dann wird ein permanenter Schrittmacher eingesetzt. Dieser kann heutzutage von den Patient/innen mit einem Tablet oder Smartphone selbst gesteuert werden. Der Eingriff erfordert von den Therapeut/innen sehr gute anatomische Kenntnisse und langjährige Erfahrung. Allein durch den Einsatz dieser Methode können bei etwa 80 Prozent der Patient/innen die Schmerzen beseitigt werden. Falls diese Behandlungsmethode nicht zum Erfolg führt, wird das Behandlungsschema um eine Radiofrequenztherapie ergänzt. Dabei gibt es zwei Methoden: Einmal die gepulste Radiofrequenztherapie bei maximal 40 Grad Celsius. Die gepulste Radiofrequenztherapie erzeugt an den Nervenwurzeln oder am Nervenwurzelganglion ein hohes elektromagnetisches Stromfeld, das die Schmerzübertragung der aufsteigenden Fasern zum Gehirn unterbricht. Die Wirkung dieser Behandlungsmethode hält bis zu zwei Jahre an und kann dann gegebenenfalls wiederholt werden, falls die anschließende Physiotherapie die Restschmerzen nicht beseitigt. – Bei Patient/innen mit chronischen Schmerzen infolge von Facettengelenksarthrosen der Wirbelsäule erfolgt die verödende Radiofrequenztherapie mit einer Temperatur von 90 Grad Celsius an dem Nervenwurzelast (Ramus dorsalis). Diese Behandlungsmethode wird auf verschiedenen Ebenen und Etagen der Wirbelsäule durchgeführt und hat eine Erfolgsquote von circa 85 Prozent. So lassen sich oft verschiedene Versteifungsoperationen an der Wirbelsäule vermeiden. Die Methode ist mit bestimmten Grenzen auch sehr effektiv bei Patient/innen, die unter einer Spinalstenose leiden.

ML: Für welche Krankheitsbilder ist diese Behandlungstechnik besonders geeignet?

Bruno H. Lurtz:
Eine Indikation besteht bei einem Bandscheibenvorfall mit Wurzelkompression, CRSP (Morbus Sudeck), Trigeminusneuralgie, chronische Schmerzen an der Wirbelsäule infolge von Facettengelenksarthrose und ISG-Arthrose (lliosakralgelenk) sowie, sofern bereits mehrfache Operationen erfolgt sind, für chronische Kniegelenkschmerzen, chronische Hüftgelenksschmerzen, chronische Arm- und Halswirbelsäulenschmerzen, chronische Fuß- und Sprunggelenksschmerzen, chronische Handschmerzen, chronische Leistenschmerzen, chronische Becken- und Beckenbodenschmerzen.

ML: Würden Sie für die konservative Behandlung orthopädische Hilfsmittel wie etwa Rückenbandagen oder die sogenannte TENS-Therapie empfehlen?

Bruno H. Lurtz:
Ja, bei mittelstarken Schmerzen im Lendenwirbelsäulenbereich empfehle ich auch Rückenbandagen in Ergänzung zur Akupunktur und Neuraltherapie. Sie ist vor allem für Lumbalgien geeignet. Aber sie eignet sich auch gut für Facettengelenkschmerzen, beim Piriformis-Syndrom und bei Schmerzen infolge von Erkrankungen des Nervus gluteus superior. Der Vorteil der Bandage sind die regulierbare Stabilisierung durch Kompressions-Zuggurte und die Muskelsteuerung durch die Silikonpelotten. Eine Rückenbandage sollte aber nur für einige Stunden am Tag, vor allem nicht nachts, getragen und durch physiotherapeutische Maßnahmen ergänzt werden.

Sie ist übrigens auch bei Schmerzen infolge von chronischen Bandscheibenschäden gut geeignet. Die Schmerzmedikation kann so um etwa 30 bis 40 Prozent reduziert werden: In Kombination mit Physiotherapie und lokaler Wärmeanwendung führt sie schnell zu einer Schmerzreduktion bei Schmerzen der Lendenwirbelsäule.

ML: Welchen Effekt haben Rückenbandagen und Lumbalorthesen allgemein auf bestehende Beschwerden?

Bruno H. Lurtz:
Die Kompression einer Orthese oder Rückenbandage entlastet die Bandscheiben und nimmt den Druck von den Wirbelgelenken. Orthesen kompensieren das häufige Problem einer fehlenden Bauchmuskulatur und entlasten das entzündete Wirbelgelenk beziehungsweise den entzündeten Nerv im Nervenwurzelkanal. Die oft optional beigelegte Silikonpelotte sollte man nur temporär einsetzen, sie kann aber auch durch ein Gelkissen ersetzt werden.

ML: Welchen Beitrag leistet die TENS- und EMS-Therapie auf dem Weg zur Schmerzfreiheit?

Bruno H. Lurtz:
Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) und die elektrische Muskelstimulation (EMS) haben verschiedene Wirkungen auf den Lumbalbereich: Die TENS-Therapie entspannt die Muskulatur durch die Blockierung der aufsteigenden Schmerzfasern und die EMS-Technologie baut den Muskel wieder auf. Diese Therapie sollte man mindestens dreimal täglich für circa 30 Minuten anwenden. Bei Patient/innen mit Herz- oder Schmerzschrittmacher kommt diese Therapie allerdings nicht infrage. Bei Lähmungserscheinungen und einem sogenannten Kauda-Syndrom sollte unbedingt ein Spezialist aufgesucht werden.

 

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Lurtz!

Kontakt:

Orthopädische Praxis Bruno H. Lurtz

Bahnhofstraße 17

12555 Berlin

www.praxis-lurtz.de

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