„Ich würde gern die Zeit zurückdrehen!“

Was ist, wenn sich von einer Sekunde auf die nächste dein komplettes Leben verändert? Kampfsportler Frank Litzba, Schwarz-Gurt im Jiu-Jitsu und Blau-Gurt im Karate, musste schmerzlich erfahren, wie es sich anfühlt, einen Teil seiner Körperfunktionen zu verlieren.
© Frank Litzba

Schuld daran war ein Verkehrsunfall, der ihn ab dem 5. Halswirbel lähmte. Nach vier Wochen im Koma entdeckte er sich neu und lebt nun schon seit acht Jahren sein neues Leben im alten Körper.
 

Mehr Leben:  Du bist seit deinem Unfall ab deinem 5. Halswirbel gelähmt, weil dein Rückenmark (an C5/C6) durchtrennt ist. Wie äußert sich das?

Frank Litzba:
Ich spüre von etwas über den Brustwarzen abwärts nichts mehr. Allerdings bei längerem Kontakt mit etwas Heißem oder Kaltem an den Oberschenkeln nehme ich es war. Vom Daumen zum kleinen Finger nimmt die Fühlfähigkeit ab und am kleinen Finger fühle ich nichts, auch nicht an der Unterseite des Arms.


ML:  Ein normaler Toilettengang wird zur Qual?

Frank Litzba:
Ich gehe alle drei Tage auf Toilette zur Darmentleerung. Da ich keine Kontrolle über den Darm habe, muss dieser mit Laxanstropfen am Vortag angeregt werden. Am Tag selbst muss mit einem Klistier die Ausscheidung eingeleitet werden und durch mehrmalige interdigitale Stimulation wird der Enddarm angeregt, um auch den Rest auszuscheiden. Dabei hilft auch Druck auf dem Bauch. Die Prozedur dauert ca. 60 Minuten. Außerdem darf ich nur bis 14 Uhr am Vortag gegessen haben, sonst könnte es passieren, dass im Laufe des Tages etwas in die Hose geht.


ML:  Also kannst du die Blase auch nicht kontrollieren?

Frank Litzba:
Nein. Allerdings nehme ich zur Regulierung der Blasenspastik Tabletten, die den Blasenmuskel lähmen und somit verhindern, dass etwas ausläuft. Durch das vegetative Nervensystem merke ich, wenn ich muss, weil mir kalt wird und das Blut aus den Fingern fließt. Außerdem bekomme ich rote Flecken am Bauch und Stirn. In der Regel habe ich dann 5-15 Minuten Zeit zu kathetern.


ML:  Als dir die Diagnose mitgeteilt wurde, was waren deine ersten Gedanken?

Frank Litzba:
Ich hatte nicht direkt Selbstmord-Gedanken. Vielmehr war da Angst vor dem Tod. Aber ich lebte. Und ich bin sehr gern am Leben. Ich war auch nicht allein und das war ein gutes Gefühl. Es war immer jemand an meiner Seite. Als mir die Ärzte mitteilten das ich für immer gelähmt sein werde, war es für mich ein Schock. Jedoch wusste ich bereits kurz nach dem Unfall, dass sich alles verändert hat. Sicherlich, es war nicht einfach sich sofort damit abzufinden, jedoch fiel ich nicht in ein tiefes „Loch“ oder in eine Depression. Ich hoffe einfach, dass sich die Medizin schleunigst weiterentwickelt. Dass sich der Querschnitt wieder erholen kann und ich zurück komme in mein ursprüngliches Leben.


ML:  Gibt es den alten Frank noch?

Frank Litzba:
Vom Charakter bin ich, glaube ich zumindest, immer noch der alte Kampfsport-Frank, der nicht aufgibt und weitermacht, wenn es schwierig wird. Der Unternehmens-Frank, der Motorrad fährt und Dinge tut, die er mag, ist leider nicht mehr da. Ich bin kaum in der Lage spontan rauszugehen. Der alte Frank war nicht gern allein, heute habe ich allerdings kein Problem mehr damit. Es ist eine Symbiose aus altem und neuem Frank, die zu einem gegenwärtigen Menschen wurde, in dem beide Teile leben.


ML:  Was hast du aus diesem Schicksalsschlag für Erfahrungen mitgenommen?

Frank Litzba:
Ich würde gern die Zeit zurück drehen! Ich schätze mittlerweile jeden einzelnen Tag, den ich lebe und spare mir nichts mehr auf wie früher, halte mich nicht zurück und konzentriere mich darauf, was jetzt ist. Wenn jemand die Möglichkeit zu etwas hat, sollte er es einfach machen und niemals zögern. Es kann so schnell gehen, wie man sieht. Ich mach das, was mich glücklich macht, auch, wenn es nur bedeutet, in den Tag hineinzuleben.


ML:  In Anbetracht der Schwere deiner Lähmung - wie lief die Reha ab?

Frank Litzba:
In Israel hatte ich mir über meine Beatmungsmaschine einen multiresistenten Keim (Acinetobacter baumannii) zugezogen. Als ich nach Deutschland mit einer schweren Lungenentzündung ins UKB verlegt wurde, musste ich akut tracheotomisiert werden. Weil sich der Keim überall in meinem Körper ausbreitete, war ich noch schwächer als vorher und musste isoliert werden, durfte mein Zimmer für mehrere Wochen nicht verlassen. Danach konnte ich erst komplett in die Reha einsteigen. Bereits im UKB wurde ich von Physio-, Ergotherapeuten sowie Logopäden auf den richtigen Weg gebracht. Anfang Oktober ging es dann in die Reha nach Beelitz Heilstätten. Hier lernte ich im Prinzip alles nochmal neu: mich anziehen, wie ich die eingeschränkten Handfunktionen feinmotorisch einsetze, essen, sitzen, etc. Mitte Juni 2008 wurde ich aus der Reha entlassen und setzte meine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann bereits im September fort, die ich 2010 erfolgreich absolvierte. Insgesamt hatte ich über eineinhalb Jahre Reha.


ML:  Und dein Umfeld – wie hatte es sich verändert?

Frank Litzba:
Es war ein schleichender Prozess gewesen. Nur zu meinen engsten Freunden hielt ich den Kontakt und zu meiner Familie natürlich, also zu allen, die in der schweren Zeit hinter mir gestanden hatten. Da ich ja nicht mehr so spontan agieren konnte, war ich auch auf Seiten meines Freundeskreises nur noch gelegentlich Bestandteil, wurde nicht mehr eingeladen usw. Ich schätze, dass es nicht mal Absicht war, aber in meiner Anwesenheit muss eben viel beachtet werden. Kein Wunder, dass sich das Umfeld da auch zurückzieht.

ML:  Wie bist du mit dieser Zurückweisung umgegangen?

Frank Litzba:
Es ist natürlich nicht einfach gewesen, aber heute habe ich mich damit abgefunden, da ich ein positiver Mensch bin und nicht daran denken wollte, was ich alles verpasse, sondern daran, was ich noch vor mir habe. Sicherlich gibt es Tage, an denen mir das alte Leben fehlt. Aber dann denke ich an meine Stärken, an das, was ich kann, lenke mich ab und mache, was mir Freude bereitet.


ML:  Wie ist dein Bedürfnis nach Nähe und Körperlichkeit?

Frank Litzba:
Ich muss gestehen, dass mein Bedürfnis nach Sex leider abgenommen hat. Da ich durch Kontaktstimulation zwar eine Erektion bekomme und sie durch dauerhafte Stimulation auch erhalten kann, also zu Sex fähig bin, dabei aber leider nichts empfinde, kann ich auch nicht zum Orgasmus kommen. Aber zum Trost hat mein Körper mir eine andere Möglichkeit der Freude geschenkt. Allerdings ist das finden einer Partnerin die nicht vom Rollstuhl abgeschreckt wird und hinter die Fassade des Rollstuhls blickt, nicht so einfach.


ML: Was würdest du tun, wenn du jetzt und hier deine Funktionen zurück hättest?

Frank Litzba:
Ich würde rennen, einfach rennen. Ich würde auf die Matte gehen und kämpfen, würde springen, würde meinen Bewegungsdrang so lange nachgehen bis die Beine nachgeben. Danach würde ich dasselbe nochmal tun.


ML: Welche Rolle übernehmen Kasse, Sanitätshaus und Pfleger in deinem Leben?

Frank Litzba:
Alle Instanzen sind von elementarer Bedeutung. Das Sanitätshaus kümmert sich u.a. um die Wartung meines Rollstuhls und war auch für die behindertengerechte Einrichtung meiner Wohnung verantwortlich. Außerdem beziehe hier ich meine Katheder, Unterlagen, Desinfektionsmittel, Kompressen, usw. während die Krankenkasse einen Großteil der dabei entstehenden Kosten trägt. Meine Pfleger helfen mir morgens und abends beispielsweise beim Anziehen, bringen mir Waschzeug, helfen beim in den Stuhl setzen, essen machen, Haushalt sauber halten und auch beim Toilettentag.


Herzlichen Dank für das sehr persönliche Interview.
Wir wünschen dir alles Gute!

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