Mobil unterwegs: Das Leben eines Rollstuhlfahrers

Die meisten Menschen sind tagsüber viel auf den Beinen. Sie stehen morgens auf, gehen in die Küche und ins Bad, anschließend nehmen sie das Auto, die Öffentlichen oder das Fahrrad zur Arbeit, manche können ihren Arbeitsweg sogar zu Fuß zurücklegen. Und auch auf der Arbeit legen viele Menschen einige Kilometer hin. Anschließend geht man zum Sport, zum Einkaufen oder auch mal ins Theater. Das ist für uns völlig normal. Doch was, wenn das so einfach nicht möglich ist? Die Mehr Leben-Redaktion sprach mit Marco Meyer, der uns von den Hindernissen und Problemen eines Rollstuhlfahrers im Alltag erzählt.
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Marco Meyer ist 41 Jahre alt und sitzt seit drei Jahren im Rollstuhl. Beim Brötchenholen hatte er einen Fahrradunfall und ist seitdem von der Hüfte abwärts gelähmt. Vor seinem Unfall hat er als Lehrer für Werktechnik an einer Behindertenschule im Brandenburger Neuruppin gearbeitet. Die Vorkenntnisse durch seine Arbeit mit körperlich behinderten Kindern hat ihm dann nach der Diagnose sehr geholfen, sich mit seiner neuen Situation zu arrangieren. Marco Meyer wollte möglichst schnell wieder arbeiten, durfte seinen vorherigen Job aus versicherungstechnischen Gründen allerdings nicht mehr ausüben. Als er sich dann gerade beruflich neu orientieren wollte, erhielt er die Diagnose Krebs. Bisher hat er die Chemotherapie erfolgreich überstanden und verbringt seine Zeit jetzt zu Hause. „Im Moment lebe ich in den Tag hinein, habe meine Hündin und ihre Welpen, um die ich mich kümmere, und ich koche und grille sehr gerne. Die passenden Kräuter dafür kommen direkt aus meinem Garten“, beschreibt Meyer. „Im Garten und auch in der Küche habe ich alles selber gestaltet und gebaut. Bei ein paar Dingen haben mir Freunde geholfen, zum Beispiel beim Einschlagen der Zaunpfähle oder beim Löcher graben für neue Pflanzen. Da komme ich mit Schippe und Schaufel nicht mehr so gut hin.“

Straßenverkehr

Seit August ist er offiziell im Behindertenbeirat der Stadt Neuruppin. Meyer hat auch schon einige Ideen und Gedanken, die er sowohl im Behindertenbeirat als auch in der Stadtverordnetenversammlung ansprechen und auf lange Sicht ändern möchte. „Speziell im Straßenverkehr muss Neuruppin viele behindertengerechte Veränderungen durchführen. Die Stadt ist sehr alt, vieles steht unter Denkmalschutz. Das bringt viele Probleme, die der heutigen Zeit aber nicht mehr entsprechen. So viele Gehwege, Straßenüberquerungen und hohe Bordsteinkanten stellen ein Hindernis für Menschen im Rollstuhl dar. In meiner Heimatstadt Lüneburg ist es schon wesentlich einfacher für mich, in der Stadt mobil zu sein. In Berlin ist es okay, solange man nicht auf die Öffentlichen angewiesen ist.“

Der ÖPNV

Natürlich regt man sich als Berliner auch ständig über den öffentlichen Personennahverkehr auf, über Verspätungen und Ausfälle. Aber worüber ärgern sich Rollstuhlfahrer im Speziellen? Das kann Marco Meyer und anschaulich erklären: „Wenn man die nötige Kraft und Geschicklichkeit hat, kann man mit dem Rollstuhl auch auf einer Rolltreppe fahren, das zieht den Rollstuhl aber auch in Mitleidenschaft. Also ist man auf die Fahrstühle angewiesen. Leider gibt es nicht an jeder Station einen Fahrstuhl und oft sind die auch für mehrere Wochen defekt. So muss mir dann ein Mitarbeiter der Bahn oder der BVG erklären, wie ich am besten von einem Ort zum nächsten komme. Das ist dann jedes Mal mit häufigem Umsteigen, langen Umwegen und deutlich mehr Zeit verbunden.“

Angenehme Zeit auf Teneriffa

„Andere Länder können das definitiv besser“, erklärt Meyer. „In Polen und im spanischen Raum, in Barcelona und auf Teneriffa, muss ich mir als Rollstuhlfahrer überhaupt keine Gedanken machen, bevor ich irgendwohin möchte. Auf Teneriffa gibt es vor Restaurants sogar Parkplätze für E-Scooter.“ Auf Teneriffa ist Marco Meyer zweimal im Jahr zur Reha. Es gibt dort ein Reha-Kurhotel, was auf Rollstuhlfahrer spezialisiert ist und dessen Kosten auch von deutschen Krankenkassen übernommen wird. Nur der Flug muss selbst bezahlt werden und die Begleitperson muss ein bisschen mehr hinzuzahlen. Doch das lohnt sich, denn das angenehme Klima tut besonders im Frühjahr und in den kalten Jahreszeiten gut. „In Deutschland friere ich mir ja die Finger ab“, so Meyer. Aber nicht nur das Wetter ist angenehm auf Teneriffa. „In dem Kurhotel werden nicht die Rollstuhlfahrer angestarrt, sondern die ‚Fußgänger‘, das ist eine nette Abwechslung“, sagt Meyer und grinst. „Das ist normalerweise echt unangenehm, wenn die stehende Bevölkerung mit einem Rollstuhlfahrer spricht. Entweder gucken sie auf uns herab oder sie gehen in die Knie und wir schauen auf sie hinab. Da spürt man das Mitleid, auch wenn man keins braucht oder möchte. Aber in dem Reha-Kurhotel gibt es auch für alle Begleitpersonen Rollstühle, die sie während ihrer Zeit dort nutzen können. So befinden sich alle auf Augenhöhe.“ Ein weiterer Vorteil auf Teneriffa sind die Sportkurse. „Es gibt viele Sportmöglichkeiten. Letztes Mal habe ich an einem Rollstuhl-Tanzkurs teilgenommen. Nächstes Mal möchte ich tauchen gehen.“

Sport- und Freizeitangebote

In Deutschland, genauer gesagt in Meyers Wohnort Neuruppin, hat er nicht so viele Möglichkeiten. Am Anfang hat er selbst viel ausprobiert und so auch beispielsweise seinen Hund vor den Rollstuhl geschnallt. Nachdem er sich dann aber einen Schulterbruch zugezogen hat, und dieser ohne Gipsverband heilen musste, da der starre Gips ihn am Rollstuhlfahren behindert hätte, geht Marco Meyer es ein bisschen langsamer an. Im Neuruppiner Krankenhaus wird Bogenschießen auch für Rollstuhlfahrer angeboten. Andere Sportangebote für Behinderte gibt es in Neuruppin nicht.

Neben dem Bogenschießen kümmert sich Marco Meyer rührend um seine Boxer-Hündin, die sechs Wochen vor dem Gespräch mit der Mehr Leben gerade Nachwuchs bekommen hatte. Seine Hündin ist ausgebildeter Therapiehund und darf somit auch in öffentliche Gebäude mitgeführt werden. Sie ist sehr lieb, hört aufs Wort und hatte nach Meyers Krankenhausaufenthalt sofort gemerkt, dass ab jetzt etwas anders ist. Ohne spezielles Training lief sie sogleich brav und akkurat neben dem Rollstuhl her.Unterstützung der KrankenkassenUm seinen Rollstuhl seinen eigenen Wünschen anpassen zu können, musste Marco Meyer lange mit seiner Krankenkasse streiten. „Großartig unterstützt wird man von denen nicht“, meint Meyer, „Es wird nur das Nötigste übernommen. Und auch beim Rollstuhl gibt es am Anfang nur die Standardausführung. Dabei machen andere Räder oder auch schon ein besseres Sitzkissen so viel aus. Der Rollstuhl fährt besser, der Verschleiß minimiert sich, man hat eine bessere Haltung... Aber die zahlen lieber erstmal weniger, dabei sind ihnen die Folgeschäden egal.“ Überhaupt sei jeder Kostenzuschuss, jede Bewilligung ein Kampf, erklärt Meyer. Es gibt beim Erhalt des Pflegegrades eine einmalige Kostenunterstützung von 4.000 Euro für den heimischen Umbau, um das Zuhause an die neue Pflegesituation anzupassen. Je Pflegegrad, den man erhält, bekommt man diese einmalige Zahlung von 4.000€. Doch allein das Bad umzubauen, dazu alle (Tür-)Schwellen zu beseitigen, niedrigere Schränke und Regale anzubringen, eventuell einen neuen Treppenlift zu kaufen und dann noch die benötigte Bewegungsfreiheit zu schaffen, das kostet weit mehr. Meyer kann darüber nur den Kopf schütteln und sagt: „Wer plötzlich in diese Situation kommt und keine finanziellen Rücklagen hat, der kann mir nur leidtun.“ Als er selbst in die Situation gekommen ist, hat er sein Haus verkauft, da es viel zu teuer gewesen wäre, dieses komplett umzubauen. Und auf der anderen Seeseite von Neuruppin hat er eine schöne Wohnung gefunden, die gerade fertiggestellt wurde. Die Wohnung ist altersgerecht und barrierefrei und kann so auch problemlos von einem Rollstuhlfahrer genutzt werden.

Das Sanitätshaus

„Und die Umgebung ist super“, sagt Meyer. „Ich habe das Wasser fast direkt vor der Nase, und mehrere Einkaufsmöglichkeiten nur ein paar hundert Meter die Straße rauf. Auch ins Sanitätshaus Seeger komme ich gut. Zuerst war ich bei einem anderen Sanitätshaus, doch da bin ich nicht so schnell und einfach hingekommen. Ich würde aufgrund der Nähe auch nicht mehr wechseln wollen. Wenn ich ein Problem habe, kann ich direkt in die Filiale fahren. Und mit meinen sympathischen Ansprechpartnern, dem Reha-Fachberater und dem Techniker in der Werkstatt, komme ich auch super aus.“

Unschöne Erlebnisse

Marco Meyer ist jemand, der sich nicht unterkriegen lässt und optimistisch bleibt. Egal, wie unhöflich manche Leute ihm gegenüber sind. Er hat da schon einige Geschichten erlebt. „Einmal sind mir auf dem Fußweg mehrere Radfahrer entgegengekommen, die gerade genug Platz für einen Fußgänger gelassen haben. Als ich sie darauf hinwies, dass dies kein Radweg sei, erwiderten sie, dass ich dann ja auf der Straße fahren könnte. Und ein andermal war ich im Restaurant und konnte mit meinem Rollstuhl nicht durch die schmale Tür zur Toilette. Als ich dann um Hilfe bat, wurde mir gesagt, ich solle mir eben eine andere suchen. Und noch ein anderes Mal stand ich mit meinem Rollstuhl vor einer kleinen Treppe zum Bäcker, um der Verkäuferin anzuzeigen, was ich gern kaufen möchte. Da kam eine ältere Frau heraus und hat mich beschimpft, dass ich nicht vor der Treppe ‚parken‘ soll. Generell habe ich die Erfahrung gemacht, dass eher die ältere Generation kratzbürstig ist, die jüngere Generation hingegen offener und hilfsbereiter.“

Immer positiv bleiben

Doch Meyer will meistens gar keine Hilfe. Er möchte so viel wie möglich selbst machen, das ist sein Stolz. Und wenn er doch mit irgendetwas Hilfe benötigt, dann fragt er auch danach. So wurden in zwei Supermärkten in seiner Nähe nur auf seinen Vorschlag hin behindertengerechte Einkaufswagen zur Verfügung gestellt. Und wenn er an ein Produkt im hohen Regal nicht selbst herankommt, helfen die Verkäufer dort auch gern.Abgesehen von mitleidigen Blicken und ungebetener Hilfe sieht Meyer aber auch Positives an seinem Rollstuhlfahrer-Dasein. „Ich kann mit einer Begleitperson kostenlos bahnfahren und sie auch mal ins Kino einladen. Und es gibt natürlich noch viele andere Vergünstigungen. Und niemand wirft mir vor, den ganzen Tag faul rumzusitzen“, lacht er.Wir bedanken uns für das nette Gespräch mit Marco Meyer. Er hat uns viele Einblicke in das Leben eines Rollstuhlfahrers gegeben. Wir wünschen ihm alles Gute für die Zukunft.

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